Ammos

Ammos


Ich bin seit vielen Jahren aktiv im Tierschutz tätig und fliege regelmäßig nach Nordgriechenland. Im Jahr 2012 machte mein Mann Patrick den Vorschlag mal wieder nach Kreta (das letzte Mal waren wir vor 30 Jahren dort) zu fliegen um dort nur Urlaub zu machen, weil Kreta so schön ist. Ich fand die Idee toll und erzählte Allen, die es hören wollten, diesmal machen wir wirklich nur Urlaub, ich werde mich nicht wirklich mit Tierschutz befassen.

Wir flogen also nach Chania in ein nettes kleines Hotel ca. 1 km entfernt vom Strand. Schon an unserem ersten Strandtag fielen mir die vielen tollen, gut genährten Hunde am Strand auf. Super schöne Hunde, die bei uns in Deutschland sofort vermittelt werden würden. Am Abend lernten wir dann Effi kennen und wussten, warum die Hunde so gut genährt aussehen. Die junge Frau gehört einem griechischen Tierschutzverein an und fütterte jeden Tag ca. 60 am Strand lebende Hunde. Als sich dann noch herausstellte, dass sie eine Bekannte von unseren Tierschutz-Freunden aus Thessaloniki ist, hatte sich das mit unserem tierschutzfreien Urlaub eigentlich erledigt.
Patrick und mir war sofort klar, dass wir einen Hund mitnehmen werden, da die Tiersituation in Kreta fast noch schlimmer ist als in Nordgriechenland.
Natürlich hatte ich wie immer, wie meine Zahnpasta auch meine eigene Hundebox dabei.
Am nächsten Morgen fuhren wir mit unserem Mietauto zu dem kleinen, schön angelegten Flughafen in Chania um eine Box im Frachtraum reservieren zu lassen, damit wir einen Hund mitnehmen können.

Wir kamen auf dem kleinen, sehr schön mit Pflanzen angelegten Flughafengelände an und ich sah IHN sofort mit meinem „Tierschützerblick“ unter einer Bank vor dem Flughafengebäude sitzen:
Er saß verängstigt, ohne Halsband, verdreckt und abgemagert, sehr klein mit riesengroßen Augen dort und sah aus wie eine kleine „Kanalratte“. Ich sagte zu Patrick: "Hast du den Kleinen dort unter der Bank gesehen?"
Wir gingen ins Gebäude hinein aber leider waren alle Schalter geschlossen, die wir benötigt hätten um eine Box anzumelden.
Als wir herauskamen, stand der Kleine vor der riesengroßen Schiebetür aus Glas als ob er auf jemanden wartet.
Mir war in diesem Moment sofort klar, dass er auf dem Flughafen zurückgelassen worden sein musste.
Ich griff ihn impulsiv und nahm ihn auf meinen Arm. Er war so schockiert, dass er mich von oben bis unten vollpinkelte. Ok dachte ich, das ist wohl die Strafe, wenn du dich als Tierschützerin schon mal schick anziehst….

Wir nahmen ihn mit in unser Hotelzimmer und tauften ihn Ammos, das ist griechisch und bedeutet ganz einfach Sand. Er saß den ganzen Tag und die darauf folgende Nacht in einer Ecke unseres Zimmers, fraß nichts, trank nichts und bewegte sich nicht aus der Ecke.
Das Einzige, was sich bewegte, waren die zahlreichen Zecken, die von ihm abfielen und nun durch unser Zimmer wanderten.

Doch jedes Mal, wenn wir ihn anfassen wollten oder nur in seine Nähe kamen, erwachte er plötzlich zum Leben und aus dem niedlichen Fellknäuel wurde eine kleine Bestie, die wild um sich biss.
Wir beschlossen ihn am nächsten Tag zu Coustoula, einer tierschützerisch sehr engagierten griechischen Tierheimleiterin in Chania zu bringen. 
Da wir keine Lust hatten unsere Finger im Urlaub „tackern“ zu lassen, blieb uns nichts anderes übrig als eine kleine Schranktür im Zimmer auszuhängen um ihn aus der Zimmerecke herauszubekommen. Er rannte in die Dusche und von dort konnten wir ihn dann endlich in unsere große Hundebox hinein schieben ohne gebissen zu werden.
Der arme kleine Kerl war total traumatisiert.
Wir gaben Ammos samt Hundebox in der Station ab und Coustoula sagte uns gleich deutlich, dass sie solch einen kleinen Hund inmitten von 350 großen Hunden nicht für längerfristig aufnehmen kann. Also war klar, dass wir ihn mitnehmen mussten.

Kurz vor unserem Rückflug kauften wir eine Hundetasche und einen Maulkorb für Ammos. Der Gedanke wie wir den bissigen, kleinen Ammos unterwegs und Zuhause händeln sollten, bereitete mir Kopfschmerzen, da wir noch von Effi die liebe Hündin Esmeralda mitnehmen wollten und Zuhause noch unsere eigenen Hunde warteten. Aus meiner Tierschutztätigkeit kannte ich einen kleinen Hund namens Pippo, der so traumatisiert war, dass er seine Bissigkeit auch in seiner deutschen Familie nie abgelegt hat, daran musste ich denken.

Effi und ihr Tierschutzkollege Nikos brachten uns beide Hunde zum Flughafen und ich dachte, ich sehe nicht richtig: Ammos lief bei Nikos brav an der Leine, war superlieb und hopste immer an Nikos hoch um gestreichelt zu werden. Er war bei Nikos zu einem Schoßhündchen mutiert. Uns sah er jedoch sehr misstrauisch an.

Wir checkten ein und passierten die Sicherheitskontrolle mit Ammos in der Tasche ohne Probleme.

Ich setze mich hin, da wir noch viel Zeit bis zu unserem Abflug hatten und Patrick beschloss in den Duty Free Shop zu gehen. Bevor er ging, sagte er zu mir streichel den kleinen Kerl doch etwas, damit er nicht solche Angst hat!
Ich öffnete die Tasche ein klein wenig um Ammos am Kopf zu streicheln. Das war ein großer Fehler wie sich sehr schnell herausstellte: Blitzschnell sprang Ammos aus der Tasche und rannte los. Er rannte in eine leere Abfertigungshalle zum Gate hinein. Ich sprang sofort auf, ließ mein Handgepäck stehen und rannte hinterher.
Der Kleine war mit seinen kurzen Beinen jedoch so schnell, dass er immer mehr an Vorsprung gewann. Außerdem setzte er jeden Meter einen Kotködel ab, so dass ich aufpassen musste nicht auch noch darüber auszurutschen. Die Nachbarabfertigungshalle war voll mit Menschen, die auf ihren Abflug warteten und durch die Scheiben meine verzweifelte Verfolgungsjagd sahen, Viele lachten.
Ich fand das alles überhaupt nicht lustig. Vor allem lief Ammos mit einer „Affengeschwindigkeit“ wieder aus der offenen Abfertigungshalle hinaus und ich konnte es einfach nicht glauben, er rannte durch die Sicherheitskontrolle hindurch zurück in das offene Flughafengebäude.

Ich stoppte kurz vor der Sicherheitskontrolle und meine Gedanken überschlugen sich wie  „Was mache ich denn jetzt; Das war es wohl, jetzt ist er wieder da, wo wir ihn gefunden haben; Das hätte einer erfahrenen Tierschützerin aber nicht passieren dürfen; Warum hast du bloß mal wieder auf Patrick gehört; Was sage ich jetzt Effi und Nikos……?“

In diesem Moment sah ich Patrick, den ich eigentlich vor dem Whisky- oder Süßigkeitenregal im Duty Free Shop vermutet hatte mit großen Schritten an mir vorbei durch die Sicherheitskontrolle hinter Ammos her laufen.

Ein paar Minuten später sah ich ihn mit Ammos auf dem Arm zurück kommen, er schritt einfach durch die Sicherheitskontrolle ohne anzuhalten. 
Meine Erleichterung konnte sich keiner vorstellen.

Ammos hatte sich in der Flughafenhalle wohl unter eine Bank gerettet und war sehr giftig, aber da Patrick keine Wahl hatte, zog er ihn hervor und es stellte sich heraus, dass der Kleine nur bluffte, er biss nicht zu.

Ich habe den ganzen Flug über die Tasche zugehalten.

Zuhause hatte Ammos schnell Vertrauen zu Patrick gefasst, mich hat er mehrere Tage sehr misstrauisch beobachtet und ließ sich auch von mir nicht anleinen.
Als Patrick wieder zur Arbeit musste und ich die Gassi-Runden übernehmen musste, habe ich ihn gegen seinen Willen einfach angeleint und so sind wir schnell Freunde geworden, da Ammos gemerkt hat, dass auch ich als Frau eigentlich gar nicht so schlimm bin…..

Wir wollten eigentlich nie solch einen kleinen Hund haben, man muss sich so bücken beim Anleinen, kleine Hunde sind oft Kläffer und eigentlich gar keine "richtigen" Hunde. Aber Ammos hat uns eines Besseren belehrt, er hat sich zu einem Clown, Herzensbrecher und totalen Schatz entwickelt von dem wir uns nicht mehr trennen konnten. Somit haben wir ihn adoptiert, nachdem er einige Monate als Pflegehund bei uns war und ich immer mehr gehofft habe, dass sich bloß keine Interessenten melden werden.                                                                                                                               

Er bringt uns jeden Tag zum Lachen, er ist der Liebling unserer gesamten Familie.

Er ist eigentlich auch kein kleiner Hund nur äußerlich, innerlich ist er eine Dogge. Er nimmt es mit allen großen Rüden auf und auch mit Wildschweinen. Daher läuft er in unserem Hundewald zwar frei aber immer mit Schleppleine, damit ich ihn in brenzligen Situationen noch retten kann.
Ich habe immer noch nicht geschafft ihn einzuholen, wenn er plötzlich losrennt aber ich bin am Trainieren.

Ammos und Familie